Die Saline Gottesgabe
Die Salzgewinnung in Bentlage kann sich einer fast tausendjährigen Geschichte rühmen. Schon im Jahre 1022 wird sie urkundlich erwähnt, als die edle Frau Reinmod eine Kapelle stiftete.
Die Nutzung der Salzvorkommen wurde zunächst deren Pfarrer zugestanden. Nachdem im Jahre 1437 die Kreuzherren die Kapelle übernahmen und an ihrer Stelle ihr Kloster errichteten, betrieben diese die Salzgewinnung. Erst nach 1601 erlebte die Saline unter den Edelherren von Velen eine erste Blütezeit. Im Hinblick auf erhoffte Erträge gaben sie ihr den Namen „Gottesgabe“, welchen sie durch die Jahrhunderte hinweg beibehalten hat.
Nach den verheerenden Zerstörungen des dreißigjährigen Krieges erfolgte ab 1738 unter der von Fürstbischof Clemens August von Münster begründeten Salinen-Sozietät eine essentielle Modernisierung unter der Leitung des international bekannten Salinenspezialisten Freiherr Joachim Friedrich von Beust. Er arbeitete eng zusammen mit dem fürstlichen Baumeister Konrad Schlaun. Zur Energieerzeugung wurde der Salinenkanal angelegt, wodurch die Wasserkraft der Ems bis zur Saline geführt und hier ein überdimensionales Wasserrad angetrieben wurde. Im neu angelegten Gradierwerk konnte der Salzgehalt der nur schwachprozentigen Sole verbessert werden, während im ebenfalls neu errichteten Salzsiedehaus im Jahre 1745 wieder Salz gesiedet wurde. Das erzeugte Salz wurde z. T. über den Max Clemens Kanal in das Münstersche Salzmagazin gebracht und von dort weiter verhandelt.
Als die Bentlager Saline sich ab 1867 nach der Aufhebung des Staatsmonopols verstärkt der Konkurrenz industriell produzierten und dadurch deutlich preiswerteren Salzes ausgesetzt sah, versuchte man durch das Eröffnen eines Bade- und Kurbetriebes mit der wertvollen Sole ein weiteres wirtschaftliches Standbein zu finden. Ab dem Jahre 1890 wurden im neuen Badehaus (dem heutigen Gasthaus „Gottesgabe“) die ersten Wannenbäder verabreicht. Zehn Jahre später erweiterte man den Betrieb durch ein Kurhaus und nach weiteren 10 Jahren kam in unmittelbarer Nähe ein Kinderheim dazu.
Leider musste die Gewinnung des kostbaren und geschätzten Salzes in Bentlage nach zahlreichen wirtschaftlichen Rückschlägen 1953 eingestellt werden. Auch das Solebad wurde 1975 endgültig geschlossen.
Das Gradierwerk
Vielerorts wurde nur schwachprozentige Sole gefunden. Um hieraus Salz zu gewinnen, musste eine große Wassermenge verdunstet werden, was einen hohen Brennstoffbedarf zur Folge hatte. Salzsieder suchten deswegen nach immer neuen Methoden, die schwachprozentige Rohsole anzureichern. Im 16. Jahrhundert setzte sich allmählich die Strohgradierung in sogenannten Leckwerken durch. Dabei handelte es sich um kleine Holzkästen, in die man Strohbüschel setzte. Diese wurden bei guter Witterung von den „Lepperknechten“ mit Sole begossen. Im 17. Jahrhundert ging man zu Wänden aus Stroh über, die nicht mehr mit Sole beworfen werden mussten, sondern durch Leitungen von oben her versorgt wurden. Auch an der Saline Gottesgabe entstand etwa 1605 ein Leckwerk von 60 Fuß Länge und 20 Fuß Breite, welches vermutlich 1647 im 30-jährigen Krieg den Schweden zum Opfer fiel.
An den glatten Strohbüscheln der Leckwerke lief die Sole zu schnell nach unten, so dass nur wenig Wasser verdunstete. Nach Versuchen mit Birkenreisig gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde mit dem Schwarzdorn, den Zweigen der Schlehe, das ideale Gradiermaterial gefunden, weil es sich als besonders salzresistent erwies. Die harten, sperrigen und dornigen Zweige erlauben den Aufbau relativ dicker Schichten. Die Sole verrieselt an den Außenwänden in feinen Tröpfchen und der entlang streichende Wind lässt einen Teil des enthaltenen Wassers verdunsten. Die Erfindung dieser Dorngradierung wird dem ideenreichen Salinenspezialisten Joachim Friedrich Freiherr von Beust zugeschrieben.
In Bentlage ließ Freiherr von Beust ein fast 300 Meter langes Gradierwerk errichten, das erste seiner Art in Westfalen. Aus einem Katen unter dem Dach rieselte die Rohsole über die Schwarzdornzweige in die Tiefe und wurde stark abhängig von der Witterung angereichert. Nebel, Regen und Frost behinderten den Gradiervorgang, während hohe Temperaturen und niedrige relative Luftfeuchtigkeit den Ablauf begünstigten. Unter optimalen Umständen konnte die geringprozentige Ausgangssole, deren Salzgehalt im Schnitt bei etwa 9 Prozent lag, bis auf einen Salzanteil von 18 bis 22 Prozent veredelt werden. Eine höhere Konzentration wurde nicht angestrebt, weil dann bestimmte Säuberungsprozesse bei der anschließenden Versiedung nicht mehr möglich gewesen wären.
Das Gradierwerk wurde in Nordwest-Richtung ausgerichtet, damit der Wind aus der Haupteinfallsrichtung seitlich an den Wänden vorbeistreichen konnte. Über der Anlage war ein Dach konstruiert um Verdünnung der Sole bei Regenwetter zu vermeiden. Weil sich aber unter dem Überstand des Daches der Wind bei steilem Einfallswinkel staut, wurden anderenorts bestehende Dächer abgetragen oder neue Gradierwerke ohne Dach gebaut. Dass die noch bestehenden Gradierwerksteile in Bentlage mit einem Dach gekrönt sind, kann als Wahrzeichen der Saline Gottesgabe gelten.
Von dem ursprünglichen Gradierwerk sind nur Teile erhalten geblieben. Im Jahre 1940 brachte ein heftiger Sturm das 130 m lange Mittelstück zum Einsturz und in 1945 brach das östliche Ende zusammen. Vom ursprünglichen Gradierwerk, welches von Beust von 1743 bis 1745 errichtete, ist nur der 35 m lange Westteil erhalten geblieben. Der ca. 30 m lange Gradierwerksteil am Salinenkanal wurde 1966 in alter Form neu erstellt.
Der Kurbetrieb
Als die Grafen von Velen der Saline den Namen „Gottesgabe“ verliehen, mögen sie auf hohe Gewinne gehofft haben. Leider hat sich diese Erwartung nie erfüllt. Die Solevorkommen waren nicht ergiebig und die Kosten der Instandhaltung hoch. Als dann im Jahre 1867 das preußische Staatsmonopol aufgehoben wurde, verschärfte sich die Wettbewerbssituation auf dem Salzmarkt erheblich und die Saline Gottesgabe konnte nur noch wenig erfreuliche Ergebnisse erzielen. Erste Überlegungen zur Errichtung eines Badebetriebs gehen auf den damaligen Salineninspektor Dr. Winckler zurück, der sich 1877 die Heilwirkung der Sole hatte begutachten lassen. Aber erst elf Jahre später wurde der Plan verwirklicht. Mit einem schlichten einstöckigen Badehaus wurde 1890 zum bestehenden Salinenbetrieb der Bade- und Kurbetrieb aufgenommen, wobei in den begleitenden, zunächst eingeschossigen Flügelbauten, die Wannenbäder verabreicht wurden. 1897 begann man das Badehaus zu vergrößern und zweigeschossig zu erweitern. Fertig gestellt wurde es 1906.
Zum Ausbau des lukrativ erscheinenden Badebetriebes wurde in den Jahren 1900/01 direkt hinter dem Badehaus ein Kurhaus errichtet. Damit erhoffte man sich neben den Tagesgästen auch Logiergäste für mehrtägige Anwendungen zu gewinnen. Das großzügige, im Landhausstil gehaltene Kurhaus verfügte neben zusätzlichen Badeeinrichtungen über 30 Logierzimmer sowie über entsprechende Gesellschaftsräume. Das Ganze war umgeben von einem parkähnlichen Garten. Zunächst auf mehrere Jahre an einen Gastwirt verpachtet, wurde es im 1. Weltkrieg als Lazarett genutzt. In 1917 ging das Kurhaus in den Besitz der Barmherzigen Clemensschwestern zu Münster über.
Ergänzend hierzu wurde 1924/25 als Exerzitienhaus und Erholungsheim der Münsteraner Clemensschwestern das Gertrudenstift, ein dreigeschossiger, massiv in Backstein ausgeführter Bau im Stil einer Münsterländischen Wasserburg mit reicher Werksteingliederung und Giebelzier errichtet. Der hohe, wehrhafte Turm des Gertrudenstifts wirkte einst als Landmarke weit über die ansonsten flache Landschaft Bentlages hinaus. 1972 entstand im Garten des Stiftes ein Schwesternwohnheim. Im Jahre 2002 wurden beide Gebäude vom Bistum Münster übernommen und schließlich nach Rentabilitätsabwägungen im Herbst 2003 abgerissen.
Eine Erholungsstätte zu schaffen „für blutarme, skrupulöse und rachitische Kinder minderbemittelter Bevölkerungsschichten“, war das erklärte Ziel des Vereins „Kinderheim in Gottesgabe“, der 1907 auf Initiative des Salineninspektors Jesse unter dem Protektorat der Fürstin Pauline zu Bentheim und Steinfurt gegründet wurde. Nahezu ausschließlich aus Spendengeldern finanziert konnte im Jahre 1910 das Kinderheim in Bentlage eröffnet werden. Zum Kurprogramm gehörten das Verabreichen von Solebädern und das Inhalieren der heilsamen salzhaltigen Luft im Bereich des Gradierwerkes. Während des Krieges als Lazarett genutzt, zogen ab 1951 elternlose Flüchtlingskinder und Kriegswaisen ein. Ab 1970 wird es von der JOSEF-PIEPER-SCHULE, dem Bischöflichen Berufskolleg Rheine, genutzt.
Der Solbadbetrieb nahm nie großen Umfang an. In den Jahren 1900 bis 1916 wurden jährlich zwischen 3.000 und 8.000 Bäder verabreicht, im Kinderheim übrigens in den Jahren 1910 bis 1935 etwa 6.000 bis 14.000.
Im Badehaus wurden bis zur Einstellung des Badebetriebes im Jahre 1975 noch Bäder verabreicht. Seit 1990 wird im ehemaligen Badehaus das Restaurant „Solbad Gottesgabe“ betrieben, in dessen linken Flügel noch Reste des alten Badebetriebes erhalten geblieben sind.
Auch heutzutage ist die heilsame Wirkung der Bentlager Sole unumstritten. Jährlich erststellt die Laborunion Prof. Dr. Holl eine Heilwasser-Analyse. Aufgrund ihrer chemischen Zusammensetzung und physikalischen Eigenschaften wird die Bentlager Sole als „Natürliches Heilwasser“ definiert.
Das Salzsiedehaus
Die im Gradierwerk aufbereitete Sole wurde in die großen Pfannen des Salzsiedehauses geleitet, wo sie zu Salz versotten wurde. Ursprünglich waren die Pfannen aus Blei, welche aber dem Feuer nur wenige Wochen standhielten und dann neu vergossen werden mussten. Seit dem 16. Jahrhundert wurden die Pfannen aus einzelnen Eisenblechen zusammengenietet. Die Fugen zwischen den Blechen dichtete man mit einem Gemisch aus Tierleber, Talg und Lehm ab.
Der eigentliche Siedeprozess bestand aus zwei Arbeitsgängen, dem „Stören“ und dem „Soggen“. Das Stören diente gleichermaßen dem Vorwärmen wie dem vollständigen Reinigen der Sole. Kräftig angeheizt mit Holz wurde die Sole zunächst zum Kochen gebracht. Durch Zugabe von einige Näpfchen Rinderblut oder Eiweiß bildete sich – ähnlich wie beim Marmeladekochen – auf der Oberfläche ein bräunlicher Schaum, der Verunreinigungen absorbierte und als „Salzschmant“ abgeschöpft wurde. Das Ende der Störphase erkannten die Sieder daran, dass sich an der Oberfläche feine Salzhäute bildeten. Die Sole „ging zu Salze“.
Nun folgte das Soggen. Die Sole durfte nicht mehr kochen, sondern sollte bei Temperaturen zwischen 60 und 80 °C ruhig stehen. Nach und nach setzte sich das Salz an der Oberfläche ab, wobei die Salzkristalle in typischen Gebilden auskristallisierten, welche oft die Form kleiner Hohlpyramiden annahmen. Aber die Siedemeister mussten auch mit unangenehmen Überraschungen rechnen. Wenn zum Beispiel die Sole Spuren von fetthaltigen Substanzen enthielt, dann bildeten diese Fette eine außerordentliche dünne, aber dennoch effektive Haut auf der Soleoberfläche. Durch diese Haut konnte das Wasser nicht verdampfen und das Salz nicht auskristallisieren. Dagegen setzten die Siedemeister spezielle Scheidungsmittel wie Bier oder Branntwein, Harz oder Ruß ein. Die genaue Rezeptur dieser Scheidungsmittel wurde streng geheim gehalten und vom Vater auf den Sohn überliefert.
Die sich an der Oberfläche bildenden Salzkristalle sanken auf den Boden und wurden von Zeit zu Zeit mit Krücken an den Pfannenrand gezogen. Sodann wurde das Salz in Spitzkörbe aus Weidengeflecht gefüllt und nach dem Abtropfen zum Trocknen in die Salzmagazine gebracht.
Die Schausiedepfanne
Ursprünglich ernährte sich der Mensch als Jäger und Sammler von Wildkräutern und stillte damit seinen Hunger nach dem lebensnotwendigen Salz, welche diese von Natur enthielten. Als er aber vor etwa 10.000 Jahren sesshaft wurde und als Bauer von den gezüchteten Erträgen der Erde lebte, musste er andere Wege gehen. An den Küsten der warmen Meere bildeten sich Salzablagerungen, in den kälteren Breitengraden trat das im Untergrund gelagerte Salz nur als Solequelle zu Tage.
Als erster Schritt der Salzgewinnung aus den natürlichen Solequellen musste der – zumeist niedrige – Salzgehalt der Sole angereichert werden. Durch Verrieselung im Gradierwerk verdunstete ein Teil des Wassers und die so auf etwa 20% verdichtete Sole wurde in großen Wannen erhitzt, damit das Salz auskristallisierte. Im Salzsiedehaus sind noch die historischen Siedepfannen vorhanden, aber an ihnen hat der „Zahn der Zeit“ genagt. Die in der Salzwerkstatt von den Städtischen Museen sehr erfolgreich angebotenen pädagogischen Mitmachprogramme bewegen sich nur in kleinstem Maßstab. Folglich konnte die historische Methode des Salzsiedens nicht unmissverständlich veranschaulicht werden.
Seit seiner Gründung im Jahre 2010 hat unser Verein einen langen Weg zurückgelegt. Dieser begann mit dem mühsamen Betrieb einer mobilen Siedepfanne. Das hierin gewonnene Salz, verpackt in ansprechenden Säckchen, fand schnell derart großen Anklang, dass die Kapazität der mobilen Siedepfanne nicht mehr ausreichte.
Diese Gründe waren für den Verein Anlass zum Bau einer festen Schausiedepfanne zur anschaulichen Darstellung der historischen Methode des Salzsiedens und zur Erzeugung von naturbelassenem, grobkörnigem Salz. Die Siedepfanne ist ein auf anderhalb Meter groß und hat eine Tiefe von 25 cm. Das Volumen beträgt etwa 350 Liter. Die Siedepfanne wird elektrisch mit einer ausfallsicheren Temperatursteuerung betrieben, so dass die Pfanne autonom im Dauerbetrieb bei etwa 65 Grad arbeiten kann. Zum Schutz der Anlage und um eine ruhige Siedetätigkeit zu ermöglichen, steht die Pfanne in einem gläsernen (quasi salzkristallinen) Pavillon. Dieser kann geöffnet werden, damit Besuchergruppen bis dicht an die Siedepfanne treten und somit an den Siedevorgang herangeführt werden können.
Die Baukosten für die Schausiedepfanne haben – wie veranschlagt – 145.000 Euro betragen. Die Finanzierung erfolgte durch verschiedene Organisationen:
Zuwendung der NRW Stiftung | 60.000 € | |||
Sponsoring der Stadtsparkasse Rheine | 10.000 € | |||
Sponsoring der Stadtwerke für Rheine | 10.000 € | |||
Anteil der Stadt Rheine | 10.000 € | |||
Crowdfunding | 15.000 € | |||
Eigenanteil des Vereins | 40.000 € |
Mit der Siedepfanne kann laufend die Salzproduktion durchgeführt werden. Leise und kontinuierlich köchelt die Sole vor sich hin. Zu bestimmten Zeiten wird das Salz abgeschöpft. Alle Vorgänge sind dem Besucher visuell zugänglich. Auch wenn der Betrieb ruht, ist die Salzsiedepfanne mit ihrer darin stehenden Sole und den Salzverkrustungen ein ansehnliches Objekt, welches die Geschichte seiner Funktion dem Besucher erzählt und vermittelt. Sie stärkt die pädagogische Arbeit vor Ort und unterstützt das Konzept der Führungen und der Bildungsarbeit. Mit der für Westfalen einzigartigen Siedepfanne ist es uns mit innovativen Elementen beispielhaft gelungen, die Darstellung eines verloren gegangenen Arbeitsprozesses in historischer Umgebung wieder aufleben zu lassen und dadurch kulturell zu erhalten. Möglich war dies nur mit hohem ehrenamtlichen Engagement und weitreichender Unterstützung der städtischen Organisatoren.